Stricken als Protest

In einer Inszenierung des Stückes „Utopia. Gesellschaft ohne Kapital?“ des Theaters 1000 Hertz klappern im Hintergrund die Schauspieler unaufhörlich mit ihren Stricknadeln.  Stricken als Protest.

„Wir sind ein riesiger Pullover, der sich auflöst“,  bekennt sich die Heldin als klammheimliche anarchische Proteststrickerin.

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Mein Freund hat Theaterwissenschaft in Erlangen studiert und hat mir erzählt, wie alle zusammengesessen haben, politisiert und diskutiert haben und alle, Männer und Frauen, ständig etwas gestrickt haben. Das war Ende der 80er Jahre. Was haben sie denn gestrickt? Schals, sagte er. Hat sie auch jemand getragen? Nein. Es gehörte einfach dazu. Protest oder Gruppenzwang?

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Auch in der Ökobewegung der 80er-Jahre stand das Stricken im Blick der Öffentlichkeit. Mit der Anti-Atom-Bewegung und den Grünen kommt Stricken wieder in Mode.

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Michael Cramer, von 1989 bis 2004 verkehrspolitischer Sprecher der grünen Fraktion, saß häufig mit Strickzeug im Plenarsaal und produzierte Pulswärmer, Babysocken, Schals, Mützen und – Pullover. Das wohl bekannteste Stück ist sein Anti-Atomkraft-Pullover, den er in seiner Zeit als Lehrer gestrickt hatte und immer noch tagtäglich trägt. Sogar in seiner jetziger Amtszeit als EU-Parlamentarier in Brüssel.

Auf der Homepage der Grünen Fraktion verspricht man uns in zwei Artikeln das Strickmuster zum Antiatompulli… Wie schade, dass das Muster war nicht mehr aufzufinden ist …

Ich besuche die Homepage von Kirsten Brodde (http://www.kirstenbrodde.de/?p=1068), der die Berliner Grünen aufgetragen haben, das Muster aus dem Pulli herauszuheben und der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen (wohlbemerkt: das Muster und nicht die Anleitung), doch da funktioniert der Link auch nicht. Die Grünen hatten anlässlich der 30-jährigen Feier ihres Bestehens einen Wettbewerb zum Thema „Wer strickt den besten Antiatompulli“ gestartet. Von den Ergebnissen des Wettbeverbs konnte ich keinen Namen erfahren und nur diese Fotos ausfindig machen:

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Die kunstvolle modische Umsetzung des Themas hat das Label Kirsten Brodde selbst geschaffen. Hier ist die damenhafte Variation des Antiatompullis:

Natürlich sollte dieser käufliche Pulli auch 100% ökologisch rein sein. Kirsten schreibt dazu „Es gibt nur ein Stricklabel in diesem Land, was einen so eigenen Stil hat wie das von Carolin Ermer-Graening. Was in Berlin zu Hause ist und absolut konsequent in puncto Ökologie und Ethik. Seit 2006 gibt es caro e. “

Heute ist Stricken für Männer  im Plenarsaal wieder in, wie dieser Schnappschus vom Grünen Parteitag in Erfurt beweist:

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Die Piraten , schließen sich dieser Tendenz auch an. Beachtet dabei die Vielzahl an verschiedenfarbigen Knäueln im geöffneten Wollkoffer! Anke Domscheit-Berg strickt einen kunterbunten Schal.

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Einige Parteikolleginnen sitzen neben ihr und tun es ihr gleich:

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Protest, aber nett

Die Piraten erinnern in vielen Punkten an die frühen Grünen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt optisch wieder: Das unangepasste Äußere in den Parlamenten ist ein Statement – Wollpullis, Sonnenblumen und Latzhosen bei den Grünen, Laptops, Blaumänner und Trainingsjacken bei den Piraten.

Auf dem Parteitag in Bochum rief Anke Domscheit-Berg zum Stricken auf: „man kann übrigens alles umstricken/-häkeln, Stuhlbeine, Stecker, Stehmikrofone, Gerueste, Gelaender“.

Wie wahr, aber verschwindet auch der Rost unter dem Häkelkleid?

 

Männer häkeln Mützen

Auf der Suche nach Erfolgsgeschichten werde ich von denselben überrumpelt. Ein Hero der Mützen-Häkeln-Szene ist Oli (alias Oliver Diestelmann), der sich selbst bei meinem Blog sichtbar gemacht hat. Ich stelle ein Bild von seinem Blog hier rein.

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Oli häkelt mit einem Countdown und hat ein Motto, dass einfach unwiderstehlich ist:

First come – First serve!

Seine Mützen haben eine einzige Machart, doch viele Farben und variierende Größen. Immer, wenn eine fertig ist, und sie ist garantiert einzigartig, wird sie wie ein frisches Brötchen von den Händen des männlichen Häkeltalents gerissen. Ja, gerissen.

Mit dem Häkeln angefangen hat der studierte Onlineredakteur, als er sich eines Tages  in schöne Wolle verliebte. Er schaute sich bei Youtube eine Häkelanleitung an und häkelte sich seine erste Mütze. Die hat er dann prompt auf Facebook eingestellt und sein Netzwerk fand sie zum Beißen. So war die Idee geboren, Mützen zu häkeln und sie auf seinem Blog zu verkaufen.

Es ist unverkennlich, dass es sich bei Oli um einen Naturtalent handelt, denn er hat keine Ahnung, wie die Häkelmuster und -maschen heißen. Seine Stäbchen nennt er „Doppelmaschen“, aber wen kümmert das schon? Er hat einfach Riesenspaß beim Häkeln. Und das ist wunderbar.

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Oli, ich wünsche dir viel, viel Erfolg und ein bisschen mehr Inhalt in den nächsten Tutorials.

Und wenn jemand doch wissen will, wie man beim Häkeln eine Pause einlegt (was geübt sein soll), soll er sich dieses Video nicht entgehen lassen.